Naturschutzgebiet Bilstein

Erstausweisung: 1999
Stadt: Bad Wildungen (Altwildungen, Reitzenhagen)
MTB 4820
Schutzgrund: Bot
Größe: 62,6 ha (Schutzzone 1: 45,5 ha, Schutzzone II: 17,5ha)
Teil von FFH-Gebiet Nr. 4820-305


Lage und Besonderheiten

Der Bilstein wurde wegen seiner floristischen Seltenheiten erstmals von Jean Baptista Müller in seiner 1841 erschienenen „Flora Waldeccensis et Itterensis" erwähnt. Nachdem die Diabas-Felsklippen aus dem Unterkarbon bereits als geologisch-naturkundliches Naturdenkmal ausgewiesen worden waren, bekam das Gebiet 1999 seinen Status als NSG. Der Bilstein verkörpert einen der wertvollsten natürlichen Felskomplexe mit Reliktcharakter in Hessen. Er ist ein Refugium südosteuropäischer (submediterran-pontischer) Primärvegetation mit einzigartiger, Wärme liebender und trockenresistenter Flora. Hier finden sich Arten, die in Waldeck-Frankenberg, Nordhessen oder Hessen nur ein- oder wenige Male vorkommen.


Das Schutzgebiet nördlich des Bad Wildunger Stadtteils Reitzenhagen gliedert sich im Wesentlichen in fünf Teilbereiche:

 

1. Berggipfel des Bilsteins

Hier stockt überwiegend ein naturnaher Laubwaldkomplex, der als Waldmeister-Buchenwald und Eichen-Hainbuchenwald mit Übergängen zum Waldgersten-Buchenwald ausgeprägt ist. Auf dem Gipfel des Bilsteins ist der Ringwall der „Reitzenhägener Doppelburg" zu erkennen, die vermutlich im 9. Jahrhundert erbaut und im 12. Jahrhundert wieder aufgegeben wurde.

 

2. Bilsteinklippen mit West- und Osthang

Den größten Teil der imposanten Bilsteinklippen nehmen Bleichschwingel-Felsband-Gesellschaften ein. Substratreichere Wuchsorte ermöglichen die Ausbildung von Felsgebüschen. Baumbewuchs ist aufgrund der Steilheit und des heißtrockenen Lokalklimas nur sehr eingeschränkt möglich. In den bodennahen Schichten des südexponierten Hanges können im Sommer Erwärmungen bis über 60 Grad C auftreten, im Winter die Temperaturen bis unter -25 Grad C sinken. Bedingt durch die Regenschattenlage betragen die Jahresniederschläge nur um 600 mm. An den Klippen finden sich einzelne knorrige Traubeneichen. In Nachbarschaft zu den Felsen stockt im Steilhang als vegetationskundliche Besonderheit ein Trockenheit liebender Weißfingerkraut-Traubeneichenwald. Daran grenzen offene Blockschuttwälder mit Winterlinde, Berg-Ahorn, Traubeneiche und Rotbuche.

 

3. Nördlicher Ziegenberg

Die Anhöhe aus Zechsteinkalk ist mit einem lockeren, unterholzreichen Kiefern-Lärchenwald bestockt. Auf der flachgründigen Kuppe hat sich ein blaugrasreicher Halbtrockenrasen erhalten. Am östlichen Waldrand befinden sich weitere kleinflächige Kalkmagerrasen und große Heckenkomplexe.

 

4. Der Ziegenberg

Dieser Berg nördlich von Reitzenhagen wurde früher als Ziegen- und Schafweide genutzt. Heute ist er fast vollständig, überwiegend mit Kiefern, aufgeforstet. Nur auf der Kieselschiefer-Kuppe haben sich kleinflächig Silikat-Magerrasen (Borstgrasrasenreste mit Wacholder) erhalten. Einzelne knorrige Traubeneichen und Rotbuchen zeugen von dem ehemaligen Hutewald.

 

5. Die Wilde im Bereich Köppelmühle

Die südliche Grenze des NSG bildet die Wilde, ein naturnaher Mittelgebirgsbach mit streckenweise gut ausgebildetem Galeriewald aus Erlen und Weiden.

 

Besucherhinweis

Wanderparkplätze befinden sich an der Schwedenschanze (Zufahrt von der Bundesstraße aus unterhalb des Supermarktes am Stadtrand) und an der Bilsteinquelle unterhalb des Felsens mit steilem Anstieg. Die Entfernung von der Schwedenschanze zum NSG beträgt einen Kilometer. Die Bilsteinklippen bieten einen herrlichen Ausblick.

 

 

Kurzübersicht Pflanzenwelt 
Die "Silikat-Felsspalten- und Silikatfels-Pionierrasen" des Gebietes sind deutschlandweit gefährdet und geschützt. Es handelt sich um lückige Trockenrasen, die durch basenreiche, aber überwiegend kalkarme und weitgehend humusfreie Felsgrussubstrate (Rohböden) geprägt sind. In ihrer Bedeutung sind sie vergleichbar mit dem NSG „Bilstein bei Albungen" im Meissnervorland. Weitere, jedoch wesentlich artenärmere, anders ausgebildete Vorkommen befinden sich bei Bad Wildungen im NSG „Sonderrain", am Hirzstein bei Kassel und an der Milseburg in der Rhön.

 

In der nördlichen Kellerwald-Randregion kommen auf Schiefer- und Diabasfelsen Bleichschwingel-Felsband-Gesellschaften vor, die hier meist als Pfingstnelken-Felsfluren ausgebildet sind. Ausschließlich am Bilstein wurde daneben der verwandte Traubengamander-Wimperperlgras-Rasen festgestellt. Entsprechend dem besonderen Lebensraumtyp kommen an den Bilsteinklippen eine Reihe außergewöhnlich seltener und gefährdeter Pflanzenarten vor: Astlose Graslilie (Anthericum liliago), Goldhaar-Aster (Aster linosyris), Erdsegge (Carex humilis), Gewöhnliche Felsenmispel (Cotoneoster integerrimus), Pfingst-Nelke (Dianthus gratianopolitanus), Ungarischer Schwingel (Festuca pannonica), Blaugrünes Labkraut (Galium glaucum), Blutroter Storchschnabel (Geranium sanguineum), Siebenbürgisches Perlgras (Melica transsylvanica), Nelken-Leimkraut (Silene armeria), Straußblütige Wucherblume (Tanacetum corymbosum), Alpen-Leinblatt (Thesium alpinum), Früher Thymian (Thymus praecox) und Frühblühender Ehrenpreis (Veronica praecox).

 

Die Goldhaar-Aster hat am Bilstein ihren einzigen Standort in Nordhessen, das Alpen-Leinblatt sogar in ganz Hessen. Auch das Siebenbürger Perlgras besitzt am Bilstein einen Vorposten seines Verbreitungsgebietes und ist in Waldeck-Frankenberg sonst nirgends zu finden. Der Frühe Ehrenpreis wurde im Kreisgebiet nur in vier Rasterfeldern kartiert. Die Pfingstnelken-Population am Bilstein ist mit etwa 20 % des hessischen Gesamtbestands eine der größten im Bundesland.


Insbesondere an der großen Diabasklippe sowie an den kleineren Felsgraten sind Felsbandrasen und Felsspaltenfluren ausgebildet. Spalten-Wurzler besitzen spezielle Anpassungen an die kargen Bedingungen und das extreme Lokalklima. Als seltene oder gefährdete Pflanzenarten sind am Bilstein vier Kleinfarne vertreten: Schriftfarn (Asplenium ceterach), Deutscher Streifenfarn (Asplenium x alternifolium), Murbecks Streifenfarn (Asplenium x murbeckii) und Nördlicher Streifenfarn (Asplenium septentrionale).

 

Im steilen Süd- bis Südwesthang nimmt Pioniervegetation der Silikatfelskuppen einen prägenden Bestandsteil ein. Auch hier finden sich Spezialistengesellschaften mit trockenheitstoleranten Arten, die auf den an Feinmaterial armen Felssubstraten und bei extremen Klimabedingungen existieren können, insbesondere viele Moos- und Flechtenarten. Eine bemerkenswerte, bedrohte Flechtenart ist die Krustenflechte Calloplaca (Schönfleck) grimmiae. Ausgeprägte Bestände von Silikatschutthalden, wie siez.B.auch an den Steilhängen nördlich des Edersees vorkommen, sind charakteristischer Bestandteil des Waldmosaiks vor allem am Südwesthang des Bilsteins.

 

Als bemerkenswerte Pflanzenarten kommen vor: Astlose Graslilie (Anthericum liliago), Rotes Waldvöglein (Cephalanthera rubra), Schmalblättriger Hohlzahn (Galeopsis angustifolia), Frühblühendes Habichtskraut (Hieradum glaudnum), Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria) und randlich Großblütiger Fingerhut (Digitalis grandiflora).

 

Insgesamt wurde im NSG eine enorme Zahl seltener, gefährdeter und geschützter Pflanzenarten festgestellt: 59 Blütenpflanzenarten,4 Farn-, 18 Moos-, 60 Flechten- und 32 Pilzarten. Während nur einer Aufnahmesaison (2002) konnten über 140 Pilzarten nachgewiesen werden, darunter sind 12 Neufunde für Hessen. Somit ist das NSG Bilstein auch aus mykologischer Sicht als sehr wertvoll einzustufen.

 

Eine sehr seltene Farnart bei uns ist der Schriftfarn. Die wärmezeitliche Reliktart besitzt ihr bedeutendstes Vorkommen in Waldeck-Frankenberg an den Diabasfelsen im „NSG Bilstein".

 


Kurzübersicht Tierwelt

Folgende Vogelarten brüten u. a. im Gebiet: Rotmilan, Schwarzspecht, Grau- und Trauerschnäpper sowie Gartenrotschwanz.

 

Die Reptilien sind mit Blindschleiche, Schlingnatter, Waldeidechse und Ringelnatter vertreten.

 

Zu den seltenen Amphibien gehören Feuersalamander und Geburtshelferkröte.

 

Erste Erfassungen der Käfer lieferten bereits 110 Arten, unter ihnen viele an Totholz gebundene Arten. Im Bilstein-Gebiet kommt z. B. der Hirschkäfer (Lucanus cervus) als FFH-Art vor.

 

Bisher sind 389 Schmetterlingsarten nachgewiesen. Unter den 39 Tagfalterarten finden sich in Deutschland gefährdete: Mattscheckiger Braundickkopffalter, Dukaten-Feuerfalter, Silberfleck-Perlmuttfalter und Wachtelweizen-Scheckenfalter. Die Nachtfalter Linden-Blütenspanner (Eupitheda egenaria) und Glänzende Erdeule (Rhyacia ludpeta) sind stark gefährdet. Die Magerrasen des nördlichen Ziegenbergs beherbergen die reichhaltigste Falterfauna. Auffallend ist hier das reiche Vorkommen des Schönbärs (Callimorpha dominula). Insgesamt sind 112 Schmetterlingsnrten in einer Roten Liste aufgeführt. Die Spanische Fahne (Euplagia quadripunctata, FFH-Art) konnte 2006 bestätigt werden.

 

Bei den neun Heuschreckenarten fällt an den Bilsteinklippen der an trocken-warme Extremstandorte gebundene Steppengrashüpfer auf, der hier in großer Zahl vorkommt. Vertreten ist auch die Waldgrille (Nemobius sylvestris).

 

Von den 16 Wanzenarten ist die Wärme liebende Felsflur-Bodenwanze (Horvathiolus superbus) hervorzuheben. Sie wurde bisher nur in Süddeutschland gefunden.

 

Bei einer umfassenden Untersuchung zur Bienenfauna konnten 51 Arten festgestellt werden. Außerdem wurden 52 Wespenarten nachgewiesen.

 

Text: NABU Waldeck-Frankenberg

 


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Naturschutzgebiete in Hessen

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Band 4, Landkreis Waldeck-Frankenberg mit Nationalpark Kellerwald-Edersee

von Wolfgang Lübcke & Achim Frede

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